Die Weseler Schülerin Hanna Kolkmann erlebt ein Jahr bei einer Familie in Alexandrow - mit mancherlei zum Eingewöhnen.
Wesel. Hanna Kolkmann, 15-jährige Schülerin des Konrad-Duden-Gymnasiums aus Wesel, absolviert ein Auslandsjahr. Das machen immer mehr junge Leute. Aber nicht die beliebten „Staaten" hat sie dafür ausgewählt, sondern Russland. Genauer: Alexandrow, eine Stadt mit rund 100 000 Einwohnern, etwa drei Autostunden von Moskau entfernt. Hier schildert sie ihre ersten Eindrücke aus einer ziemlich anderen Welt.
In den ersten Tagen war ich skeptisch, und mir kam vieles sehr fremd vor. Doch erstaunlich, wie schnell das geht - an die meisten Dinge im Alltag habe ich mich bereits gewöhnt. So greife ich, wenn ich durstig bin, automatisch zum Trinkwasserkanister, nicht zum Wasserhahn. Das Leitungswasser ist zwar nicht giftig, aber man sollte es in Maßen genießen, sagt meine Gastgeberfamilie. Teils wird es auch gefiltert - wie genau, habe ich noch nicht ganz durchschaut. Den Müll, der leider überall auf der Straße liegt, sehe ich kaum noch. Aber bis ich mich im Verkehr auskenne und alleine die Straße überqueren kann, wird es noch eine Weile dauern. Manchmal habe ich das Gefühl, die russischen Autofahrer kennen keine Regeln.
Pelmeni und Co.
Zuerst hatte ich Probleme mit der Ernährungsumstellung, die hat mir auf den Magen geschlagen. Jetzt weiß ich aber: Pelmeni und Co. können sehr lecker sein. Generell wird viel aus dem eigenen Garten gegessen. „Meine" Familie baut Obst, Gemüse und Kartoffeln an. Die Erdknollen haben wir zusammen geerntet und essen sie jetzt jeden Tag. Für mich ungewohnt ist, dass es täglich drei warme Mahlzeiten gibt. Neben Mittagessen und Abendbrot isst man auch zum Frühstück warm - meistens Kascha, eine Art Getreidebrei, vergleichbar mit dem englischen Porridge.
Sprachlich komme ich wesentlich besser zurecht als ich vermutet habe. Mit meinen Gastgeschwistern Ksuscha und Kyrill (beide 15), und mit den meisten Jugendlichen spreche ich hauptsächlich Englisch. Doch auch wenn meine „Mutter" mir auf Russisch etwas sagen möchte, können wir uns gut verständigen. Wir brauchen dazu auch unsere Hände und Füße, aber ich verstehe sie, und sie versteht mich.
Hilfreiche Schwester
Ich lerne fleißig Vokabeln. Meine „Schwester" bringt mir allerhand bei und hat ihre helle Freude daran, mich Slang- und Schimpfwörter sagen zu lassen. Da mein Alltag noch sehr leer ist, klammere ich mich meistens an sie und gehe mit ihr überall hin. Als Fremde ist es für mich manchmal nicht gerade leicht, sich wie ein Familienmitglied zu benehmen. Wenn mir alles zu „russisch" vorkommt, beruhigt mich der Gedanke, dass manche Dinge eben doch international sind. Auch hier zanken sich die Schwestern, wenn die eine sich Kosmetik oder Klamotten der anderen „ausborgt". Streit ums Abspülen ist an der Tagesordnung, auch gemeinsame Kartenspiel-Abende sind normal, und natürlich hilft man sich gegenseitig. Natürlich vermisse ich meine Familie und meine Freude, aber das Internet ist ein Segen, wir haben regen E-Mail-Kontakt. Über die schlimmste Zeit hat meine Gastgeberfamilie mir hinweg geholfen. Quelle: NRZ vom 30.09.2009