Neulich mal wieder im Casino des Reitvereins Klein-Kleckersdorf. Weil draußen gerade ein heftiges Sommergewitter alles unter Wasser gesetzt hat, tummeln sich die Reiter in der Halle. „Heute Abend sind aber noch eine Menge Kids in der Bahn", bemerkt Kurt Knetemann, der erste Kassierer des Vereins. „Die haben doch noch Sommerferien und könnten eigentlich tagsüber reiten. Gut dass bald wieder Schule ist, dann haben die Erwachsenen am Abend die Anlage wieder für sich." „Na daran werden wir uns demnächst eh gewöhnen müssen, dass abends mehr Jugendliche reiten", meint Sportwartin Petra Pfiffig. „Denn wir haben bald auch in Klein-Kleckersdorf die Ganztagsschule. Dann müssen die Kinder abends reiten oder sie können gar nicht zum Reiten kommen." „Na da wäre es mir das liebste, sie kämen gar nicht. Denn sonst können wir Erwachsenen ja überhaupt nicht mehr in Ruhe reiten", meint Siggi Schlauberger. „Mensch Siggi", kontert Petra Pfiffig, „dass ist doch nicht dein Ernst. Wir müssen uns halt was einfallen lassen, wie wir die Jugendlichen als Mitglieder halten bzw. trotzdem zum Reiten kriegen."
Petra Pfiffig hat recht. Für den gesamten Sport, nicht nur den Reitsport, stellt die staatlich und gesellschaftlich gewollte Zunahme von Ganztagsschulen eine neue Herausforderung dar. Besuchen Kinder und lugendliche Ganztagsschulen, können sie im Regelfall nicht vor 17 Uhr am normalen Reitschulbetrieb teilnehmen. Das Unterrichtsangebot konzentriert sich dann in den Abend -stunden und kollidiert mit den Wünschen der Erwachsenen, die ebenfalls meist erst am Abend reiten können. Die Anlagennutzung wird so für die berufstätigen Einstaller eingeschränkt. Dies tritt verstärkt in den Wintermonaten auf, da viele Vereine und Betriebe nur über eine Reithalle verfügen. Auch die optimale Auslastung der Lehrpferde wird dadurch erschwert, was zu finanziellen Einbußen führen kann. Entwickeln Vereine und Betriebe jedoch keine alternativen Strategien und lassen ihre Strukturen unverändert, wird dies dazu führen, dass sie zukünftig über immer weniger Jugendliche verfügen werden. Eine Vorgehensweise, die sich langfristig kein Verein oder Betrieb leisten kann.
Die Zunahme von Ganztagsschulen lässt sich nicht verhindern, weil sie für viele Eltern die einzige Möglichkeit darstellt, Beruf und Familie vereinbaren zu können. Über diese Entwicklung nur zu schimpfen und zu meckern hilft den Vereinen und Betrieben nicht weiter. Nur wenn sie in der Lage sind, ihre Strukturen und Angebote dieser Entwicklung anzupassen, bleiben sie konkurrenzfähig. Doch die Ganztagsschule muss nicht zwangsläufig nur eine Bedrohung sein. Sie kann auch als Chance für Vereine und Pferdebetriebe gesehen werden, wenn Reiten und Voltigieren in das Sport- und Betreuungsangebot der Schulen integriert werden können. Kooperieren Schulen und Vereine, bietet dies für den gesamten Pferdesport interessante Möglichkeiten. Auf diesem Weg lässt sich die Zahl jugendlicher Mitglieder steigern. Insbesondere die „Mangelware" Jungen kann über die Schulen angesprochen werden. Vereine und Betriebe können im Rahmen der Ganztagsbetreuung aktiv werden und so ihre gesellschaftliche Aufgabe verstärken. Auch Hausaufgabenoder Mittagstischbetreuung können organisiert werden. Zum Teil sind auch finanzielle Zuschüsse durch Verbände und Bundesländer möglich. Reiten und Voltigieren als Schulsport hilft auch, die Auslastung der Schulpferde zu optimieren und so die finanzielle Situation zu verbessern. Gleiches gilt für die gesamte Anlagenauslastung, da sich im Regelfall der Schwerpunkt des Reitbetriebes lediglich auf die späten Nachmittags- und Abendstunden konzentriert. Selbst im Bereich der Talent-findung und -förderung können sich interessante Aspekte ergeben, da über die Schiene Schulsport Jugendliche für den Pferdesport gewonnen werden können, die sonst vielleicht nicht erreicht würden.
Der Arbeitskreis Schulsport der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) hat in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg zahlreiche Maßnahmen und Projekte zu Thema „Schulsport Reiten und Voltigieren" initiiert. Zudem hat der Arbeitskreis für interessierte Schulen, Vereine und Betriebe eine ganze Reihe von Publikationen erstellt. Neben dem „FN-Handbuch Schulsport" oder der Broschüre „Neue Wege zum Pferd -Möglichkeiten im Schulsport" bietet speziell der Flyer „Die Ganztagsschule - eine Chance für Vereine und Pferdebetriebe" wertvolle Basisinformationen für am Thema Interessierte. Der Flyer, enthält auch die Kontaktdaten der Schulsportbeauftragten in den einzelnen Landesverbänden, die sich mit der in den einzelnen Bundesländern mitunter unterschiedlichen Gesetzeslage bestens auskennen. Sowohl bei der FN wie bei den Landesverbänden kann der Flyer kostenlos bezogen oder im Internet-Angebot der FN unter http://www. pferd-aktuell.de einfach heruntergeladen werden.
Ein unter diesen Aspekten interessantes Projekt ist der vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Deutschen Sportjugend (dsj) unter dem Motto „Schulsport tut Schule gut" ausgeschriebene Schulsportpreis 2009/2010. Gesucht und prämiert werden Konzepte und Maßnahmen aus dem Schuljahr 2009/2010, die auf einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Sportverein und Schule basieren und Kindern und Jugendlichen ein bewegungsfreundliches und ganzheitliches Umfeld bieten. Erstmals sollen jeweils eine Schule und ein Sportverein gemeinsam für eine gelungene Kooperation ausgezeichnet werden. Der Deutsche Schulsportpreis ist mit insgesamt 10.000 dotiert, davon 5.000 für den Sieger. Die Bewerbung ist ausschließlich online möglich. Das Formular kann unter www.dsj.de/schulsportpreis direkt ausgefüllt und zurückgeschickt werden. Einsendeschluss ist der 15. Dezember 2009.
Informationen: Deutsche Sportjugend, Kerstin Dudichum, Telefon: 069/6700-322, E-Mail: dudichum@ dsj.de, Internet: www.dsj.de
Reiten und Voltigieren im Schulsport ist sicherlich nicht für alle Vereine und Betriebe eine Alternative zur Ganztagsschule. Wer über keinen geeigneten Schulpferdebetrieb verfügt, wird sich damit schwer tun. Dennoch bietet das Thema ein Potential, das heute bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist.
Quelle: Thomas Hartwig (fn-press) in Rheinlands Reiter – Pferde 08/2009, Seite 65.
Weitere Informationen rund um den Pferdesport und die Zucht bietet auch das Internet-Angebot der FN: www.pferd-aktuell.de