NRZ, Lokales, vom 31.05.2025
Von Laura Lindemann, Redakteurin Politik

Essen. Der Abiball setzt Schüler und Eltern aus NRW zunehmend unter Druck. Nicht jede Familie kann sich die teure Feier leisten. Wo die Probleme liegen.
Die junge Frau tritt aus der Umkleidekabine und mustert sich im Spiegel. Eine Träne rollt ihre Wange herunter, während sie an ihrem Kleid herumzupft. Die blauen Pailletten glitzern im Licht, das wie ein Scheinwerfer von der Decke auf sie herableuchtet. Vor ihr auf dem Boden türmen sich weitere bunte Kleider. Von einigen gehen die Pailletten schon ab, andere zieren braune Make-up-Ränder. Neben ihr steht ihre Mutter und schaut seufzend auf die Uhr. „Ich sehe einfach nur fett aus“, schluchzt die junge Frau. Durch ihr Gesicht zieht sich ein langer Streifen der verlaufenen Wimperntusche.
Es ist eine von vielen Szenen, die sich an einem Samstag in den Modegeschäften der Düsseldorfer Innenstadt beobachten lassen. Während vor allem junge Frauen noch verzweifelt nach der passenden Robe suchen, überschlagen Mütter im Kopf die Kosten für jenes Kleid. Die Abiturprüfungen sind geschrieben, der Abiball steht kurz bevor. Der damit verbundene finanzielle und emotionale Druck scheint bei den Schülerinnen, Schülern und Eltern jedes Jahr größer zu werden.
„Der Abiball ist das Ereignis des Jahres“
„Für viele soll die Abi-Party immer pompöser und teurer werden, kurz: das Ereignis des Jahres“, sagt Jona. Die 17-Jährige hat in diesem Jahr ihren Abschluss gemacht und organisiert die Feier an ihrem Gymnasium in Dinslaken mit. „Es ist das Event, das wir in Deutschland mittlerweile mit der amerikanischen ,Prom Night‘ vergleichen – also mit der Party nach dem High-School-Abschluss. Wir sehen das auf Social Media, wir wollen das genauso“, sagt Jona.

Saalmiete, Catering, Kleidung und Friseurbesuch: Neben den Ansprüchen der Schülerinnen und Schüler steigen auch insgesamt die Kosten weiter an. Für einen Party-Saal zahlt man in Köln derzeit schonmal um die 60.000 Euro. Und auch im Ruhrgebiet ist man inzwischen schnell bei über 40.000 Euro. Eventagenturen sind auf den Trend aufgesprungen und werben etwa mit Feuerwerk, Limousinenservice oder Champagner-Pyramide.
Karten kosten mittlerweile um die 100 Euro
Doch Vorstellung und Wirklichkeit gehen bei diesem Thema oft auseinander. Denn die jungen Menschen müssen das Geld für ihre Abi-Feier selbst eintreiben. „Oft höre ich den Satz: ‚Es ist doch unser Abiball, natürlich entscheiden wir uns für die teure Variante.‘ Dabei wird allerdings häufig nicht bedacht, woher das Geld kommt. Die Wünsche sind schwer umzusetzen, wenn man das Geld etwa durch Waffel-Verkauf verdient“, sagt Schülerin Jona.
Am Ende bleiben die hohen Kosten an den Familien hängen. So fallen bei einem Preis von 50 Euro pro Abiball-Karte für eine vierköpfige Familie Kosten von 200 Euro an – inzwischen wird für eine Karte sogar eher zwischen 70 und 100 Euro gezahlt. „Das ist weder fair noch solidarisch“, kritisiert Jona. „Beim Abiball sieht man ganz genau, wer sich Tickets für Geschwister und Großeltern leisten kann und wer nicht.“
„Eltern stehen teils unter starkem Zugzwang“
„Eltern stehen teils unter starkem Zugzwang“, sagt Karen Schneider. Sie ist Schulleiterin am Konrad-Duden-Gymnasium in Wesel und Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in NRW. Nicht jeder könne seiner Tochter etwa ein Kleid kaufen, das über Hundert Euro kostet. Eltern erzählen dieser Redaktion, dass sie teils monatelang sparen, auch an Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken, um ihren Kindern ähnlich teure Ball-Kleidung wie den Klassenkameraden zu ermöglichen.

Auch Schülerin Jona stand anfangs unter Druck. „Nach der Frage ,Was machst du nach dem Abi?‘ folgt direkt die Frage, was man zum Ball anzieht.“ Mittlerweile antwortet sie selbstbewusst: „Mal sehen, wo ich noch irgendwo einen Second-Hand-Fummel auftreiben kann.“
„Viele Jugendliche interessieren sich für einen bewussten Umgang mit Konsum“
Mit ihrer Haltung ist die Schülerin nicht alleine. Schulleiterin Karen Schneider beobachtet in ihrer Schule teils auch gegenläufige Trends. „Viele Jugendliche interessierten sich ebenso für Nachhaltigkeit und einen bewussten Umgang mit Konsum.“
Doch einen weniger glamourösen Abiball in Kauf zu nehmen und damit nicht mit den Partys mithalten zu können, die auf den Social-Media-Plattformen präsentiert werden, erfordert Mut. Karen Schneider rät, sich ein Beispiel an den Feierlichkeiten während der Corona-Pandemie zu nehmen: „In dieser Zeit mussten kreative Lösungen her. Wir haben uns auf das Wesentliche reduziert, überlegt, was uns wirklich wichtig ist und was wir weglassen können. Die Schülerinnen und Schüler haben Tische auf den Schulhof gestellt, die Eltern waren für die Dekoration zuständig. Auf ein großes Essen haben wir verzichtet, stattdessen hat jeder etwas mitgebracht. Es wurden tolle Reden gehalten und die Musik aufgedreht.“
Die Schulleiterin beschreibt das, was sich viele Jugendliche und Eltern wünschen – ein vorerst letzter gemeinsamer Abend, an dem das Miteinander im Mittelpunkt steht, bevor jeder danach seinen eigenen Weg einschlägt.