RP, 01.08.2025, An Rhein und Lippe – von Emma Büns
Arbeit an Wochenenden, Bewältigung von Krisen und Verantwortung für Lehrer und Schüler: Schulleitungen in NRW leiden unter hoher Belastung – das zeigt eine neue Umfrage. Was die Schulleiterin des Konrad-Duden-Gymnasiums, Karen Schneider, dazu sagt.

Foto: Emma Büns
Wesel Karen Schneider gehört zu den Menschen, die To-do-Listen schreiben – aus zwei Gründen. Zum einen strukturiert und organisiert sie gerne. Zum anderen will sie im Alltag den Überblick nicht verlieren. „Morgens notiere ich mir Aufgaben auf dieser Liste, die ich im Laufe des Tages unbedingt abhaken will“, sagt sie. „Am Ende des Tages habe ich einen Bruchteil davon geschafft – wenn überhaupt.“ Ruhige Bürotage? Die gebe es in ihrem Job nicht, meint sie, dafür sei einfach zu viel los.
Karen Schneider ist Schulleiterin des Konrad-Duden-Gymnasiums in Wesel. Diesen Job macht sie seit knapp zehn Jahren, verantwortlich zeichnet die 52 Jahre alte Dinslakenerin für rund 100 Lehrer und 1100 Schüler. „Wir sind eine große Schulgemeinde, weshalb ich auf sehr vielen Ebenen zuständig bin“, erklärt sie. „Für beinahe alles die erste Ansprechpartnerin zu sein, das kostet Zeit und Energie.“
Und dann spricht Karen Schneider über Aufgaben, für die sie verantwortlich ist: Sie führt Gespräche mit Lehrern, Referendaren, Eltern, Kindern, dem Hausmeister und dem Sekretariat, mit anderen Schulleitungen und der Stadt. Sie kümmert sich um Gebäudeschäden, befristete Arbeitsverträge und Elternzeiten. Sie organisiert Zeugniskonferenzen, macht Unterrichtsbesuche und plant das kommende Schuljahr. Und es gibt Situationen, in denen die Weseler Schulleiterin plötzlich eingreifen und kurzfristige Entscheidungen treffen muss. Wenn Strom, Internet oder Heizung ausfallen. Wenn es Konflikte im Kollegium gibt. Wenn eine Unwetterwarnung oder eine Bombenentschärfung die Abläufe durcheinanderbringen.
Dass etwas Ungeplantes passiert, auf das sie schnell reagieren muss, komme regelmäßig vor, sagt Karen Schneider. „Dadurch muss ich weniger dringliche Aufgaben jedoch aufschieben und später erledigen.“ Und später, das bedeutet an Wochenenden, an Feiertagen, in den Ferien, abends nach Feierabend – „wobei wir Schulleiter nie richtig Feierabend haben. Immerhin nehmen wir abends meistens auch noch Termine wahr“, sagt die zweifache Mutter. „Die Wochen sind voll, die Tage sind lang. Man muss für diesen Job auf jeden Fall belastbar sein – insbesondere dann, wenn man eine Schule nicht nur verwalten, sondern auch voranbringen möchte.“
Was Karen Schneider beschreibt, ist Alltag für Schulleitungen in Nordrhein-Westfalen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW (GEW). Sie hatte die Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften (FFAW) demnach beauftragt, rund 1300 schulische Leitungskräfte zu psychischen Belastungen zu befragen. Das Ergebnis: Fast alle befragten Schulleitungen (94 Prozent) arbeiten, so gaben sie es an, regelmäßig am Wochenende oder an Feiertagen. Für 88 Prozent von ihnen gehört es zum Alltag, sich abends oder nachts noch an den Schreibtisch zu setzen.
Zudem machen viele von ihnen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen seltener Pausen, empfinden die emotionalen Anforderungen als deutlich höher – laut Umfrage um 80 Prozent – und schätzen ihren Gesundheitszustand den Ergebnissen zufolge schlechter ein. Sie haben Schwierigkeiten, Berufliches und Privates voneinander zu trennen. Schlechte Ausstattung und Räumlichkeiten wurden ebenfalls häufig beklagt.
Besonders besorgniserregend: In Nordrhein-Westfalen sind laut Schulministerium rund 350 Schulleitungsstellen unbesetzt – das betrifft etwa sieben Prozent der öffentlichen Schulen. Besonders häufig fehlen Leitungen an Grundschulen. Auch bei den Stellvertretungen gibt es indes große Lücken: Landesweit sind rund 770 Stellen nicht besetzt – das entspricht 16 Prozent.
Karen Schneider hätten die Ergebnisse der Umfrage nicht sonderlich überrascht, wie sie sagt. „Als Schulleitung muss man sich Arbeit und Zeit so aufteilen, dass man irgendwie klarkommt. Dafür ist nicht jeder gemacht.“ Zum einen heiße das, Verantwortung zu übernehmen, zum anderen aber auch, sie abzugeben und das Kollegium so zu strukturieren, dass man gemeinsam als Team agieren kann. „Man muss sich eingestehen, dass man nicht alles am besten weiß oder kann. Es kommt darauf an, klar zu kommunizieren und gut zu leiten – aber auch offen für Ratschläge zu sein und Empathie zu zeigen“, meint sie. Die Dinslakenerin könne jeden Lehrer verstehen, der nicht irgendwann einmal Schulleiter werden will – „zumal man immer im Zentrum des Geschehens steht. Insbesondere, wenn einmal etwas schlecht läuft.“
Um die Situation zu verbessern und Schulleitungen zu entlasten, setzt sich die GEW für mehr Verwaltungsassistenzen, multiprofessionelle Teams und zusätzliche Leitungszeit ein – Forderungen, die auch die 52-Jährige befürwortet. „Besonders wichtig wäre mir aber, künftig mehr Eigenverantwortung übernehmen zu können – etwa bei Budgetfragen“, meint sie. „Es wäre zumindest sinnvoll, uns intensiver in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Denn wenn es um Veränderungen geht, wissen wir als Schulleitung meistens am besten, welche Auswirkungen sie haben.“ Digitale Verwaltungsprogramme seien veraltet und sollten überarbeitet werden, meint Karen Schneider, außerdem halte sie es für eine Lösung, die Arbeitszeiterfassung an Schulen einzuführen – „immerhin werden unserer Anliegen und unsere Belastung sonst nicht sichtbar.“
Und dennoch sagt Karen Schneider: „Ich bin mit Leib und Seele Schulleiterin und liebe meinen Beruf – auch wenn es Tage gibt, an denen alles zu viel wird.“ Sie identifiziere sich stark mit dem Konrad-Duden-Gymnasium und dem Bildungsauftrag, Kinder ab dem zehnten Lebensjahr bis zum Abitur zu begleiten. Dieses Selbstverständnis spiegelt sich auch in den Umfrageergebnissen wider: Schulleitungen und Lehrkräfte messen ihrer Arbeit eine besonders hohe Bedeutung bei und fühlen sich ihrem Arbeitsplatz sehr verbunden.
Damit dieses Gefühl erhalten bleibt, hat sie übrigens einen Tipp: „Abschalten ist wichtig – auch wenn man sich manchmal dazu zwingen muss“, sagt Karen Schneider. Ihr selbst helfe Bewegung: Jeden Tag fährt sie mit dem Fahrrad von Dinslaken nach Wesel zur Arbeit – und wieder zurück. „Außerdem reserviere ich mir jede Woche einen freien Abend, an dem ich bewusst etwas Schönes unternehme.“
INFO
GEW in allen Bundesländern vertreten
Struktur Die GEW ist eine deutsche Bildungsgewerkschaft und gehört zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Sie besteht aus 16 Landesverbänden, die allesamt die Interessen von Beschäftigten im Bildungsbereich vertreten – darunter Lehrer und Schulleiter, Beschäftigte an Hochschulen und Wissenschaftler. So setzt sich die Gewerkschaft unter anderem für gute Arbeitsbedingungen, gerechte Bezahlung und eine bessere Bildungspolitik ein.